„Warum ein Buch feiern – oder gar lesen – das vor 300 Jahren eine „Anweisung zur wilden Baumzucht“ gab? Die Antwort ist kurz: Weil wir in der 1713 erschienenen „Sylvicultura oeconomica“ des sächsischen Oberberhauptmanns Carlowitz den Urtext unseres Nachhaltigkeitsbegriffs finden.
Blättern wir ein wenig in dem barocken Buch. Sein Ausgangspunkt ist die Ressourcenkrise seiner Zeit: Der einreißende große Holz- Mangel. Es ist eine prognostizierte, noch keine überall akute Krise. Die Abbildungen im Buch verweisen auf die Ursachen: die Umwandlung von Wald in Ackerland infol- 4 ge von Bevölkerungswachstum und Raubbau am Wald – ausgelöst von früher Industrialisierung und zunehmender Gier in der Gesellschaft. Carlowitz kritisiert das auf kurzfristigen monetären Gewinn ausgerichtete Denken seiner Zeit.
Heute heißt das: Let‘s make money. Und dann entwickelt er eine überwölbende Idee: Dass die „Consumtion“ des Holzes sich im Rahmen dessen bewegen müsse, was der Wald-Raum zu zeugen und zu tragen vermag. Das ist tief gedacht und klar formuliert. Mit einer Kühnheit, die uns heute so oft fehlt. Es geht hier nämlich um die – heute so umstrittene – Beziehung zwischen Ökonomie und Ökologie. Der Maßstab für die „Consumtion“ sollte nicht der Markt, sondern das Nachwachsen des jungen Holzes sein.
Forstleute sprechen von „Verjüngung“, Ökologen von den Regenerationsraten und der Tragfähigkeit der Ökosysteme. Carlowitz unterscheidet zwischen unserer „oeconomie“ und der „Haushaltung der Natur“, also der Ökologie. In diesem Zusammenhang präsentiert Carlowitz nun einen Terminus, der die langfristige Naturnutzung zum Ausdruck bringen soll: Bei der Erörterung, wie ein Anbau des Holzes anzustellen sei, der eine kontinuirliche beständige und nachhaltende Nutzung ermöglicht, erscheint der Urtext unseres heutigen Nachhaltigkeitsbegriffs.
Carlowitz’ Wortschöpfung etablierte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in der Fachsprache der deutschen Forstleute. An Forstakademien wie Tharandt und Eberswalde entwickelte sich ein Forstwesen, das weltweit bewundert und nachgeahmt wurde. Im 19. Jahrhundert übersetzte man „Nachhaltigkeit“ in andere Sprachen. Ins Englische z.B. mit „sustained yield forestry“.
In dieser Fassung wurde der Terminus zur Blaupause unseres modernen Konzepts „sustainable development“. Nachhaltigkeit als Begriff ist ein Geschenk der deutschen Sprache an das globale Vokabular und an die Weltgemeinschaft. Dafür sollten wir dem barocken Edelmann Carlowitz heute dankbar sein.
Der Autor Ulrich Grober ist Verfasser des Buches „Die Endeckung der Nachhaltigkeit, Kulturgeschichte eines Begriffes“. Das Buch ist hier erhältlich.