Dimension 1: Legitimierung
Theoretisch sind politische Entscheidungen in unserer parlamentarischen Demokratie rechtlich ausreichend legitimiert, wenn sie von dafür demokratisch gewählten Repräsentanten in einem rechtlich gültigen Verfahren mehrheitlich getroffen wurden. Gleiches gilt z.B. für Investitionsentscheidungen von Unternehmen. Auch dort sind die zwar nicht gewählten sondern von den Anteilseignern eingesetzten Vorstände oder Geschäftsführungen legitimiert, im Rahmen geltender Gesetze Investitionsentscheidungen zu treffen. Warum also sollte Bürgerbeteiligung eine legitimatorische Dimension berücksichtigen?
Weil Legitimität weit mehr ist als Gesetzeskonformität. Eine gesellschaftliche (soziologische) Legitimität kann sich nach Franz Oppenheimer (1907) nur an der Realität orientieren. Die Staatsangehörigen akzeptieren die staatliche Herrschaft durch Zustimmung oder Resignation. Diese Hinnahme wird als Legitimation (Rechtfertigung) verstanden. Dadurch, dass die meisten Menschen das politische System auf diese Art tragen, erhält es Stabilität.
Ziel von Bürgerbeteiligung ist es, die Legitimität einer Entscheidung oder eines Verfahrens durch Zustimmung möglichst vieler interessierter Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Ebenso legitim wäre es demnach auch, wenn eine aktive Zustimmung nur von wenigen Beteiligten artikuliert würde, die große Mehrheit aber durch stillschweigende Duldung, z.B. aufgrund eines als fair empfundenen Verfahrens, das Ergebnis sanktionieren würde.
Eindimensionale, allein auf Legitimität ausgerichtete Verfahren neigen naturgemäß zur Konfliktvermeidung. Ihr Ziel ist es, formale Angebote zu machen, ohne tatsächlich auf eine maximale Beteiligung Wert zu legen. Die Durchführung eines zügigen Beteiligungsverfahrens mit möglichst wenig Diskurs, Konflikt und Widerspruch würde also allein aus der Perspektive der Legitimität durchaus einen Sinn ergeben. Die in deutschen Planungsverfahren allgemein vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung folgt in der Regel diesem Prinzip. Der Erfolg dieser Verfahren bemisst sich an möglichst wenigen Einsprüchen und daraus eventuell resultierenden Notwendigkeiten zu Planänderungen.
Immer häufiger führen diese Verfahren jedoch zu nicht zufrieden stellenden Ergebnissen. Entscheidung und Planungsverfahren z.B. zum Projekt Stuttgart 21 der Deutschen Bahn waren nach den oben skizzierten Kriterien völlig legitim. Doch binnen weniger Wochen war diese Legitimität von der Protestbewegung hinweggefegt. Dass die Bürgerinnen und Bürger sich zunehmend unbeeindruckt davon zeigen, wenn ein Projekt bereits einen behördlichen Genehmigungsstempel trägt, sollten Planer daher als Realität anerkennen. Der Rückzug auf rein legitimatorische Argumentationen (wie in Stuttgart von Bahn und Landesregierung lange praktiziert) nützt im Konfliktfall nichts und wirkt eher eskalierend. Deshalb sollten Beteiligungsverfahren zwar stets die legitimatorischen Prinzipien berücksichtigen, dürfen sich aber nie auf diese Eindimensionalität beschränken – sonst sind sie im Falle eines Konfliktes ohne Wert.