… ist ein Feind der Menschen, so formulierte es der große Dramatiker Henirk Ibsen. Und dieser Satz war das erste, was mir einfiel, als ich erfuhr, dass das neue Jahr 2011 von der UNO zum „Internationalen Jahr der Wälder“ ausgerufen wurde.
Denn meine Erfahrungen mit Internationalen Jahren sind keine allzu guten. Das Anliegen der UNO ist sicherlich lobenswert. Doch die Befürchtung bleibt, dass es dem Objekt dieses Themenjahres ähnlich ergehen könnte, wie so vielen zuvor. Wer weiß überhaupt noch, dass wir 2010 das Internationale Jahre der Biologischen Vielfalt hatten? Die Natur hat davon nichts gemerkt.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) stellte erst kürzlich fest: „Der Verlust an Arten und Lebensräumen hat sich auch im Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt in dramatischem Tempo fortgesetzt.“ Der Minister verwies darauf, dass das von den Staats- und Regierungschefs im Jahr 2002 vereinbarte Ziel, den weltweiten Biodiversitätsverlust bis 2010 entscheidend zu verlangsamen, nicht erreicht worden ist.
2007 hatten wir das Internationale Jahr der Delfine. Auch in diesem Jahr sind über 60.000 Kleinwale und Delfine qualvoll als Beifang in Fischernetzen verendet. Die Wirkung von Internationalen Jahren der Ozeane (1998), der indigenen Völker (1993), des Süßwassers (2003) und der Aussöhnung (2009) war eine ähnliche: Keine. Eine Ausnahme war wohl das 1999 ausgerufene Internationale Jahr der älteren Menschen: Davon gab es zum Jahresende erheblich mehr als zu Beginn. Besser ging es ihnen allerdings nicht. Das gilt nicht nur für die älteren Menschen, sondern für die gesamte, weiter ansteigende Weltbevölkerung.
Man muss kein Feind der Menschen sein, um festzustellen: Die Erde hat zu wenig Wälder, aber sie hat vor allem zu viele Menschen. Und offensichtlich scheint für beide nicht genügend Platz vorhanden zu sein. Bitter ist die Erkenntnis: Ohne Menschen kann unsere Erde prima auskommen, ohne Wälder aber nicht. An dieser Misere wird auch das Jahr der Wälder wenig ändern können. Die UNO-Gremien – so wie viele Regierungen und Lobbyinstitutionen überall in der Welt – werden auch in diesem Jahr ihr übliches Ritual an Maßnahmen auflegen: Vom Sonderkongress bis zur Sonderbriefmarke, von der Sondersendung bis zu Sonderbeauftragten. Nur sonderlich viel bringen wird das kaum.
Man könnte das Jahr der Wälder also bereits im Januar abhaken, die Sonderbriefmarken sammeln, die Kongresse besuchen und schöne Appelle unterschreiben. Und wieder zur Tagesordnung übergehen.Doch leider können wir uns diesen Luxus nicht leisten. Der dramatische Rückgang der Wälder und vor allem ihre nach wie vor steigende ökonomische – oft rücksichtslose – Nutzung ist ein nicht zu unterschätzender Katalysator des Klimawandels. Wälder sind perfekte CO2-Managementsysteme und haben diese Funktion Jahrtausende hinweg ganz ohne menschliches Zutun erfüllt. Diese globale, klimastabilisierende Funktion haben wir Menschen ihnen in den letzten 100 Jahren aber gründlich genommen. Das Ausmaß der Zerstörung ist nach wie vor immens. Jahr für Jahr wird eine Fläche abgeholzt, die etwa so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Einmal zerstörter tropischer Regenwald braucht – selbst bei intelligenter Aufforstung – Jahrhunderte, bis er sich vollständig regeneriert hat.
Aber Wald ist nicht nur Regenwald. Auch unsere heimischen Wälder haben wichtige Funktionen. In Deutschland stiftet der Wald vielfachen Nutzen. Er ist Wirtschaftsgut, Ökosystem und Schutzraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten, er ist CO2-Regulator und Erholungsraum für die Menschen. Diese unterschiedlichen Dimensionen existierten nicht immer ohne Reibungen. Auch ist längst noch nicht überall Konsens, dass Wälder primär ein Naturgut und nicht nur ein Wirtschaftsgut sind. Dennoch ist die Entwicklung in Deutschland durchaus positiv. Allerdings dürfte das Modell Deutschland global nicht funktionieren: Wir bräuchten ein Vielfaches an Waldfläche, um unsere CO2-Emissionen aufzufangen. Zwar ist unser Waldbestand insgesamt stabil. Doch auf einem anteiligen Niveau, dass der Erde im globalen Maßstab den Garaus machen würde.
Dabei muss ein Freund der Wälder noch lange kein Feind der Menschen sein. Wer ernsthaft darüber nachdenkt, wie die Menschheit auch in Zukunft noch auf der Erde existieren kann, der muss zum Freund der Wälder werden – und vor allem die junge Generation in diesem Sinne erziehen.
Hier gibt es bei uns noch großen Nachholbedarf. In unseren Schulden wird zwar umfangreiches Wissen vermittelt, aber für die praktische Naturerfahrung der Kinder ist zwischen Ganztagsschule, durchorganisierter Freizeit und Transfer im elterlichen Auto kaum noch Platz. Nur ein Viertel der Viertklässler kann eine Buche von einer Linde unterscheiden – und nicht einmal ein Zehntel hat beide schon einmal bewusst angefasst. Dabei stehen ein Viertel der weltweiten Buchenbestände in Deutschland. Die Deutsche Umweltstiftung wird das Internatonale Jahr der Wälder nutzen, aber nicht mit einmaligen Sonderaktionen, sondern durch die Etablierung eines neuen umweltpädagogsichen Schwerpunktes. Sie fordert den umfassenderen Einsatz von Umweltpädagogen an deutschen Schulen und eine sinnlich orientierte, praktische Naturerfahrung. Mit dem Projekt Ein Baum für jedes Kind will sie erste Impulse für eine nachhaltige Neuausrichtung der Pädagogik setzen, die nicht nur auf Wissen, sondern mehr als bisher auf Bewusstsein setzt. Für Kinder ist dies ein weit natürlicheres Lernen, das ihrer Neugier und ihrer Lust auf sprichwörtliches Begreifen näher kommt als jede noch so schöne Unterrichtsdidaktik.
Kinder lieben Bäume, Kinder sind natürliche Freunde der Wälder. Und letztlich können die Erwachsenen auch von den Kindern lernen: Ein Freund der Erde kann auch ein Freund der Menschen sein.
Dieser Beitrag wurde erstmals im Nachhaltigkeits-Magazin GLOCALIST veröffentlicht.