Um das Klimaproblem zu lösen, bedarf es eines neuen Denkens von Prof. Dr. Mojib Latif

Hoffnung durch Handeln. Dieses Motto kann ich voll und ganz unterschreiben. Seit gut einem Viertel Jahrhundert bin ich im Bereich der Klimaforschung tätig und habe mich ausgiebig sowohl mit den natürlichen Klimaschwankungen wie auch mit dem durch uns Menschen verursachten (anthropogenen) Klimawandel beschäftigt. Dabei habe ich schnell begriffen, dass man die gemessene Erwärmung während des letzten Jahrhunderts nicht allein mit natürlichen Ursachen erklären kann, eine Einschätzung, die als wissenschaftlich gesichert gelten kann.

Wir Menschen entlassen seit Beginn der Industrialisierung gewaltige Mengen an Spurengasen, allen voran das Kohlendioxid durch die Verbrennung der fossilen Brennstoffe zur Energiegewinnung. Der Gehalt an Kohlendioxid in der Luft war noch nie so hoch wie heute seit wir Menschen diesen Planeten besiedeln.

Der weltweite Temperaturanstieg geht mit hoher Wahrscheinlichkeit überwiegend darauf zurück. Dafür spricht die überwältigende Zahl der wissenschaftlichen Publikationen. Bestimmte Gase wie das Kohlendioxid wirken wie das Glas eines Treibhauses, und ihre Anreicherung in der Atmosphäre führt unweigerlich zur globalen Erwärmung, eine seit über einhundert Jahren bekannte Erkenntnis. Die Anzeichen der scheinbar geringen Erwärmung von nicht einmal einem Grad sind unübersehbar: Das Eis der Erde zieht sich zurück. So hat sich die arktische Eisbedeckung allein während der letzten 30 Jahre um knapp ein Drittel verringert, die Gletscher ziehen sich weltweit zurück und der Meeresspiegel ist während des 20. Jahrhunderts im weltweiten Durchschnitt um knapp 20cm gestiegen. Der Weltklimarat (IPCC) geht je nach Emissionsszenarium und Klimaempfindlichkeit von einer weiteren globalen Erwärmung von etwa 2 bis 6°C bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Eine Erwärmung am oberen Ende der Bandbreite wäre für die Menschheit in Ausmaß und Geschwindigkeit einmalig und würde zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen auf der Erde in vielerlei Hinsicht führen.

Das hat mich dazu bewogen, mit dem Thema Klimawandel aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft heraus zu gehen und der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen, wenn es um die Klimaproblematik geht, und in zunehmenden Maße Einladungen zu Vorträgen und Diskussionsrunden anzunehmen. Jeder Einzelne besitzt eine Verantwortung allen Menschen auf dieser Erde gegenüber. Doch nur die wenigsten sind überhaupt in der Lage, dieser Verantwortung gerecht werden; weil sie es sich leisten können und nicht den täglichen Überlebenskampf führen müssen. Die möglichen Folgen eines ungebremsten Klimawandels können verheerend sein. Darauf hinzuweisen erachte ich als meine Pflicht. Es ist ein Privileg zugleich.

Selbst wenn die Berechnungen nur teilweise zutreffen, werden sich ohne Klimaschutz die Lebensbedingungen auf unserem Planeten verschlechtern, mit unabsehbaren Folgen für Natur, Weltwirtschaft und Weltsicherheit. Allein wegen der Trägheit des Klimas werden die Temperatur und der Meeresspiegel über viele Jahrzehnte hinweg weiter steigen. Darüber hinaus besitzt das durch den Menschen eingebrachte Kohlendioxid eine recht lange Verweildauer in der Atmosphäre von etwa 100 Jahren, sodass seine Treibauswirkung nur allmählich abklingt. Zu lange haben wir das Klimaproblem verdrängt. Und selbst jetzt, da das Thema ganz oben auf der weltpolitischen Agenda steht, wächst der Ausstoß von Klimagasen, statt zu sinken. Allein während des letzten Jahrzehnts ist der weltweite Ausstoß des wichtigsten Klimagases Kohlendioxid um etwa 30 Prozent gestiegen. Der Stillstand im Klimaschutz gibt Anlass zur Sorge.

Als verantwortungsbewusster Mensch empfinde ich es als meine Pflicht, die
Öffentlichkeit nicht nur zu informieren, sondern mich auch persönlich für
den Klimaschutz zu engagieren. Ich kann nicht tatenlos zusehen, dazu ist das 
Problem zu dringlich. Dabei bemühe ich mich, stets auf einem soliden
wissenschaftlichen Fundament zu stehen. Ich versuche, die Lage nicht zu dramatisieren, sie aber auch nicht zu verharmlosen. Denn die Tatsachen
sprechen für sich. Es handelt sich zugegebenermaßen um einen schmalen Grat, auf dem man sich bewegt. Kritik ist programmiert und sie auszuhalten erfordert den festen Boden der Wissenschaft. Nur er kann mir den Halt geben, den ich benötige, um mich sicher in der Öffentlichkeit zu bewegen.

Wir Klimaforscher dürfen allerdings unsere Kritikfähigkeit nicht verlieren und müssen selbst das Undenkbare denken, denn Wissenschaft lebt von der Verifizierung und der Falsifizierung. Kontroverse Positionen muss man ernst nehmen, nicht einfach verteufeln. Das gilt für alle Klimawissenschaftler, egal ob sie im IPCC aktiv mitwirken oder nicht. Denn eines ist auch klar. Es gibt Unsicherheiten, sowohl was den Anteil des Menschen an der bisherigen Erwärmung als auch was die zukünftige Klimaentwicklung angeht. Mit dieser Unsicherheit müssen wir leben. Es gibt in der Wissenschaft keine absolute Wahrheit. Verantwortung beinhaltet jedoch das Vorsorgeprinzip. Es besteht ein berechtigter Grund zu der Annahme, dass wir uns mit der Art und Weise auf diesem Planeten zu leben auf einem falschen Weg befinden. Und das sollte Anlass dazu sein, diesen Weg nicht weiterzugehen. Wir können nicht auf absolute Sicherheit warten, denn das hieße, sich dem Problem gar nicht zu stellen. Unserer Lebenspraxis entspräche das nicht. Wir vermeiden selbst geringe Risiken. Wer würde schon auf ein Schiff gehen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 10 Prozent sinken würde.

Um das Klimaproblem zu lösen, bedarf es eines neuen Denkens. Noch haben wir die Zeit, einen gefährlichen Klimawandel im Sinne der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1992 zu verhindern. Dazu müssen wir die Weltwirtschaft bis zum Ende des Jahrhunderts radikal in die Richtung der sauberen Energien umbauen. Die regenerativen Energien stehen praktisch unbegrenzt und zu geringen Kosten zur Verfügung. Die herkömmliche Energieversorgung ist an ihre Grenzen gestoßen. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat uns dies eindringlich vor Augen geführt: Es wird zunehmend risikoreicher, die verbleibenden Ölreserven zu fördern. Zudem sind sie ohnehin begrenzt und der Zeitpunkt des „Peak Oil“, des Fördermaximums, wird höchstwahrscheinlich in den kommenden 20-30 Jahren erreicht. Während die Erdölproduktion danach abnimmt, wird der Energiebedarf hingegen stetig steigen. Die Nachfrage überstiege das Angebot und die Preise schössen in ungeahnte Höhen. Der Umbau der Energiesysteme böte somit eine „no-regret“ Strategie. Er ist unabhängig vom Klimaproblem in vielerlei anderer Hinsicht vernünftig.

Ich möchte den Menschen Optimismus vermitteln. Wir können das schier Unmögliche erreichen, wenn wir es nur wollen. Der Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer sowie die deutsche Wiedervereinigung sind Beispiele. Die Ozonlochproblematik haben wir gerade noch rechtzeitig gelöst. Es besteht die begründete Hoffnung, dass sich infolge der internationalen Abkommen das Ozonloch über dem Südpol in einigen Jahrzehnten wieder schließen wird. Wir haben den sauren Regen verbannt, in dem wir die Autos mit Katalysatoren ausgestattet und die Rauchgasentschwefelung bei den Kraftwerken eingeführt haben. Nur wer handelt, kann sich die Hoffnung bewahren.

 


 

Autoreninformation: Prof. Dr. Mojib Latif, Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel.

Dieser Beitrag wurde erstmals im Nachhaltigkeits-Magazin GLOCALIST veröffentlicht.