Trampelpfade in unübersichtlichem Gelände von Nikolaus Huss

Versuchen wir es doch vielleicht einmal so: Als Pfadfinder habe ich angefangen, katholischer Wölfling in der evangelischen Diaspora Nürnberg. Erste Pionierarbeiten. Die weiteren Wege: Astavorsitzender an der Uni Bamberg, Hausbesetzung im Studienort Bamberg. Besetzt wurde ein Schinkelscher Turbinenbau, den die katholische St. Heinrich-Stiftung abreißen wollte. Mit über zweihundert verhafteten Personen die Besetzung erfolgreich beendet. Heute beherbergt der Turbinenbau die Volkshochschule. Und schon damals befand sich die vormalige Heimat katholische Kirche jenseits der Barrikaden. Frontenwechsel als Programm. Nach dem Studium dann die Geschäfte der grünen Landespartei in Baden-Württemberg besorgt. Tschernobyl war, nebst einigen Wahlkämpfen, meine erste kampagnentechnische Bewährungsprobe. Ich, einer der Guten. Vier Jahre lang.

Die Neugier, Grundausstattung jedes genetischen Pfadfinders, hat mich auf die andere Seite getrieben. In einer Public Relations-Agentur habe ich dann u.a. für die chemische Industrie gearbeitet, das Markenzeichen: Dialogkommunikation. Das Qualitätsprädikat: Echter Dialog und Streit. Kommunikativer Dienstleister geblieben, in verschiedenen Städten, Agenturen, mittelständischen wie umstrittenen Weltmarktführern wie Burson-Marsteller.

Und was gelernt? Viel kennen gelernt. Zum Beispiel die Vielfalt der Blickwinkel. Wahrzunehmen, dass die andere Position nicht immer die falsche sein muss. Den Spruch „gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ beherzigt. Lehrgeld gezahlt, nachgedacht, über Unternehmen, Politik, Öffentlichkeit. Und warum es so nicht weiter gehen kann.

Meine aktuelle Zwischenbilanz:

Politikverdrossene sind oftmals nur Politikerverdrossene. Die Politik lügt sich oftmals in die Tasche. Sie gaukelt Steuerungskompetenz vor, lässt aber die Chancen, die sie hat, links liegen. Die milliardenschwere Förderung der eMobilität für die Automobilindustrie ist dafür nur ein Beispiel. Geld sitzt oftmals da locker, wo es nicht notwendig wäre, (die deutschen Auto-Unternehmen sind weder Start-Up-Unternehmen, noch in einer Notlage), sondern wo es einfache Wege gibt. Auch wenn sie im Nichts enden. Und umgekehrt: Unternehmen legen publicityträchtige CSR-Programme auf, machen aber „weiter so“. Girlanden an Bäumen.

Bleiben noch die „Guten“. Umweltschützer, Aktivisten, Wutbürger, Dagegner, Mobilisierer. Oder sagen wir: Die noch Guten. Denn mehr und mehr zeigt sich, dass Zukunft nicht um den Preis der Reinheit, der Gesinnungsethik, wie Max Weber das nennt, zu haben ist. Windräder, Stromtrassen, Kraftwerke, Staubecken gibt es nicht zum Nulltarif. Sondern nur, wenn alle mitziehen. Auch beim Trassenbau.

Trampelpfade in unübersichtlichem Gelände. Politik und Großunternehmen vermuten sich auf Autobahnen und ausgesperrte Wutbürger werfen Steine vom Straßenrand aus. Das alte Weltbild der sechziger Jahre. Tatsächlich klaffen bereits tiefe Löcher in der Asphaltdecke. Und Einzelne, Kleingruppen suchen ihren Weg im globalen Dschungel. Handschlag und Augenkontakt zählen oft mehr als die Straßenverkehrsordnung. Immer mehr Menschen, mit fremden Sprachen, bunten Gewändern und exotischen Riten begegnen uns. Doch die Politik brummt weiter ihr Mantra vom Autobahnbau. Dabei gelten längst neue Regeln. Wir treffen, wenn wir uns im Dschungel bewegen, auf immer mehr Menschen, die fremde Sprachen sprechen, exotische Riten praktizieren, für immer mehr sichtbar.

Endzeit, Umbruchzeit, Aufbruchzeit. Man kann das bejammern. Oder man  macht sich daran, die wichtigsten Dinge zu tun. Worum es geht, wissen alle: Wie ist der Globus noch zu retten? Wie können wir den Tiger westlicher Wohlstand, reiten, ohne dass er sofort alles auffrisst, auf das er trifft? Oben bleiben? Oder gefressen werden. Wie locken wir den Tiger gar in die Richtung, in der, was er verzehrt, Nutzen stiftet. Oder zumindest nicht schadet. Fragen, vor denen die politisch-wirtschaftliche Elite scheut, weil sie noch keine Antwort hat. Tatsächlich werden wir die Antwort nur finden, wenn wir uns alle auf den Weg machen.

Verrückte Zeiten, so Bertolt Brecht, wo das Reden über Bäume schon ein Verbrechen ist. Unübersichtliche Zeiten, wenn das gelegentliche Fällen von Bäumen auch Zukunft bedeuten kann. Weil sie manch bescheidene Pfade erst begehbar machen. Denn neue Wege brauchen Umsicht, Mut und Entschiedenheit. Und sie werden nicht ohne Fehler zu finden sein.

Ich bin dabei!

Nikolaus Huss ist Policy Advisor, Strategischer Politikberater, Kampagnenplaner und, Achtung, Lobbyist. Aber er macht sich auch eigene Gedanken. Deshalb arbeitet er im gerne im Beirat der Deutschen Umweltstiftung mit.

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