Freiwilligenmanagement und Mitgliederbindung NGOplus-Dialog vom 05. Juni 2024

Ehrenamtliches Engagement bildet das Rückgrat vieler Non-Governmental Organizations (NGOs). Die Gewinnung und Bindung von Freiwilligen sowie die Stärkung der Mitgliederstrukturen sind von entscheidender Bedeutung, um die Ziele dieser Organisationen nachhaltig zu verfolgen und ihre Wirkung in der Gesellschaft zu maximieren. Angesichts der aktuellen sozialen, ökologischen und technologischen Herausforderungen steht diese Aufgabe mehr denn je im Fokus. Eine stabile personelle Basis und gut organisierte Mitgliederstrukturen sind unerlässlich, um ambitionierte Projekte erfolgreich umzusetzen.

Vor diesem Hintergrund lud die Deutsche Umweltstiftung am 5. Juni 2024 Mitglieder verschiedener NGOs und Organisationen zu einem digitalen Vortrag zum Thema „Ehrenamtliche gewinnen und Mitgliederstrukturen stärken“ ein. Der Gastgeber des Abends, Michael Golze, präsentierte über 80 Teilnehmer*innen die Grundlagen des Freiwilligenmanagements und bot wertvolle Einblicke in Strategien zur effektiven Gewinnung und Bindung von Ehrenamtlichen.

Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement im Wandel

Ehrenamtliche Tätigkeiten sind eine zentrale Form der gesellschaftlichen Partizipation. Sie zeichnen sich durch Freiwilligkeit, Unentgeltlichkeit und Gemeinwohlorientierung aus – Prinzipien, die das Vertrauen der Gesellschaft in die Arbeit der NGOs stärken und eine breite Unterstützung für deren Projekte sichern.

Der Freiwilligensurvey, der alle fünf Jahre vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) veröffentlicht wird, liefert Daten zum freiwilligen und ehrenamtlichen Engagement der deutschen Bevölkerung. Die letzte Erhebung im Jahr 2019 zeigt, dass 39,7 % der Bevölkerung ab 14 Jahren – rund 28,8 Millionen Menschen – sich ehrenamtlich engagieren. Diese positive Entwicklung ist in allen Altersgruppen zu beobachten, besonders stark bei Personen ab 65 Jahren. Erstmals seit 1999 unterscheiden sich Frauen und Männer nicht mehr in ihrem Engagement. Allerdings bestehen weiterhin Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen: Menschen mit höherer Bildung und Schüler*innen engagieren sich deutlich mehr als Menschen mit niedriger oder mittlerer Bildung. Zudem engagieren sich Menschen in ländlichen Gebieten stärker als in städtischen. Sport, Kultur und der soziale Bereich sind die häufigsten Engagementfelder.

Auswirkungen der Digitalisierung

Auch die Nutzung digitaler Technologien für ehrenamtliche Tätigkeiten nimmt zu. Viele Freiwillige nutzen das Internet aktiv für soziale Netzwerke, Blogs oder das Erstellen von Newslettern und Onlineberichten. Ein kleiner Prozentsatz übt seine ehrenamtlichen Tätigkeiten ausschließlich oder hauptsächlich online aus. Die zunehmende Digitalisierung bietet sowohl Herausforderungen als auch Chancen für das Engagement und die Organisation der Freiwilligenarbeit. NGOs müssen jedoch proaktiv auf die Herausforderungen reagieren, um das Potenzial der digitalen Technologien voll auszuschöpfen und ein inklusives, effektives Freiwilligenmanagement zu gewährleisten. Diese wären: 

  • Erhöhte Reichweite und Sichtbarkeit: Digitale Plattformen und soziale Netzwerke ermöglichen NGOs, ein breiteres Publikum zu erreichen und gezielt interessierte Personen anzusprechen, was die Rekrutierung neuer Freiwilliger erleichtert.
  • Flexibilität und Zugänglichkeit: Online-Tätigkeiten erhöhen die Flexibilität und Zugänglichkeit für Freiwillige, besonders für diejenigen mit Zeitmangel, geografischer Entfernung oder Mobilitätseinschränkungen.
  • Effektive Kommunikation und Koordination: Digitale Tools verbessern die Kommunikation und Koordination zwischen Freiwilligen und Organisationen, was zu effizienteren Abläufen und besserer Einbindung führt.
  • Personalisierte Ansprache und Engagement: Datenanalysen ermöglichen NGOs, personalisierte Ansprachemethoden zu entwickeln, die die Bindung der Freiwilligen stärken, indem sie auf individuelle Interessen und Motivationen eingehen.
  • Herausforderungen der digitalen Inklusion: NGOs müssen sicherstellen, dass digitale Inklusion gewährleistet ist, um ältere Menschen oder Personen mit begrenztem Zugang zu Technologie nicht auszuschließen. Daher sollten sowohl digitale als auch traditionelle Kommunikationswege genutzt werden.
  • Schulung und Weiterbildung: Die Digitalisierung erfordert neue Kompetenzen. NGOs sollten Schulungen und Weiterbildungsprogramme anbieten, um Freiwillige im Umgang mit digitalen Tools zu schulen, was deren Fähigkeiten stärkt und Zufriedenheit erhöht.

Motive für ehrenamtliches Engagement

Studien zeigen zudem, dass Menschen aus verschiedenen Gründen ehrenamtlich tätig sind, darunter

  • altruistische Motive (Pflichterfüllung, Gemeinwohlorientierung),
  • gemeinschaftsbezogene Motive (Kommunikation, soziale Integration),
  • gestaltungsorientierte Motive (aktive Partizipation, Mitbestimmung),
  • problemorientierte Motive (Bewältigung eigener Probleme, Veränderung gesellschaftlicher Missstände) und
  • entwicklungsbezogene Motive (Selbstverwirklichung, persönliches Wachstum).

Diese Motive zu verstehen und gezielt anzusprechen, ist entscheidend für die erfolgreiche Gewinnung und Bindung von Freiwilligen.

Freiwilligenmanagement

Das Freiwilligenmanagement ist ein integraler Bestandteil des Personalmanagements und fungiert als Schnittstelle zwischen den Wünschen und Bedürfnissen der Freiwilligen und den Anforderungen der Organisation. Zu den Hauptaufgaben gehören die Planung, Organisation, Aus- und Bewertung der Freiwilligenarbeit. Der Prozess des Freiwilligenmanagements umfasst die zwei Ebenen: Freiwilligenmanagement und Freiwilligenkoordination (siehe Abbildung „Prozess des Freiwilligenmanagements“).

Der Prozess dient dazu, einen organisierten Umgang mit Freiwilligen in einer Organisation zu etablieren und Koordinationshilfen anzubieten. Auf der Ebene des Freiwilligenmanagements wird die Grundstruktur geschaffen, indem beispielsweise Ressourcen bereitgestellt, Mitarbeitende informiert, Koordinator*innen benannt und ein Leitbild entwickelt werden. Die Ebene der Freiwilligenkoordination stellt den direkten Kontakt zu den Ehrenamtlichen dar, weswegen eine verantwortliche Person, die als Ansprechperson für Ehrenamtliche fungiert, unverzichtbar ist. Sie sollte für die Freiwilligen sichtbar und ansprechbar sein und koordinieren, dass Ehrenamtliche eingearbeitet, integriert, begleitet und gefördert werden.

Der Weg eines Freiwilligen im Ehrenamt gliedert sich in sechs Phasen, wobei jede Phase sowohl digitale als auch physische Kontaktpunkte zum Verband bietet. In der ersten Phase – der Bedürfniserkennung – stellen Social Media und die eigene Website die wichtigsten digitalen Kommunikationspunkte dar. Physische Kommunikationspunkte sind Berichterstattungen in den Medien, Messeauftritte und Mitglieder, die als Botschafter*innen fungieren (siehe Abbildung „Member Journey Map“).

In der Informationsphase spielen vor allem Podcasts und Newsletter als digitale Kommunikationspunkte eine wichtige Rolle, während Tagungen und Konferenzen als physische Kontaktpunkte dienen. In der darauffolgenden Entscheidungsphase können Debattencamps, Stammtische und Gästeabende als physische Kontaktpunkte dienen und Online-Weiterbildungen digitale Unterstützung bieten. In der Bildungsphase sind Mitgliederzeitschriften, der interne Bereich der Website (digital) und Beitragsrechnungen sowie der Kontakt zur Geschäftsstelle (physisch) wichtige Kontaktpunkte. Während der Bewertungsphase sind Mitgliederversammlungen und Weiterempfehlungen die relevanten physischen Kommunikationspunkte, während Mitgliederbefragungen als digitaler Kontaktpunkt dienen. In der letzten Phase – der Austrittsphase – sind als digitale Kontaktpunkte insbesondere Social Media und das Beschwerdemanagement in Form eines Onlineformulars bedeutend. Ein persönliches Austrittsgespräch und „Alumni“-Treffen oder Netzwerke fungieren als physische Kommunikationspunkte.

Gewinnung von Ehrenamtlichen

Für die Gewinnung von Ehrenamtlichen gibt es eine Reihe von Strategien. Eine effektive Möglichkeit besteht darin, die eigenen Freiwilligen als Botschafter*innen einzusetzen und in ihrem eigenen Bekanntenkreis Menschen anzusprechen. Es ist zudem wichtig, den eigenen Status zu kennen, indem beispielsweise die eigenen Freiwilligen anonym befragt werden. Außerdem spielt die Nutzung des eigenen Netzwerks eine wesentliche Rolle bei der Gewinnung neuer Ehrenamtlicher. Die Definition einer Strategie zur Ansprache potenzieller Freiwilliger ist von besonderer Bedeutung. Zur Unterstützung bei der Entwicklung einer solchen Strategie wurden in der Veranstaltung acht zentrale Fragen aufgezählt. Um Ehrenamtliche zu gewinnen, können Aktivitäten innerhalb des Vereins, wie Schnuppertage und Veranstaltungen, oder außerhalb des Vereins, wie Werbung in regionalen bzw. lokalen Medien und Kurse in Schulen oder Firmen, gute Möglichkeiten darstellen. Zudem kann es hilfreich sein, bei der Definition einer Botschaft auf die unterschiedlichen Motive (altruistisch, gemeinschaftsbezogen, gestaltungsorientiert, problemorientiert, entwicklungsbezogen) der Freiwilligen einzugehen. Insgesamt ist es entscheidend, bei der Gewinnung von Freiwilligen für ehrenamtliche Tätigkeiten Durchhaltevermögen und Geduld zu zeigen.

Bindung von Ehrenamtlichen

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Ehrenamtliche formell an den Verein zu binden. Dazu gehört regelmäßig Feedback der Ehrenamtlichen einzuholen, um ihre Meinungen, Sorgen und Wünsche zu hören. Dafür stehen unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung, wie beispielsweise ein Kummerkasten, eine gezielte Befragung einzelner Mitglieder oder eine routinemäßige Befragung von ausgetretenen Mitgliedern. Eine weitere Möglichkeit zur Bindung von Ehrenamtlichen besteht darin, einen „Zufriedenheitsbeauftragten“ zu benennen, der sich um das Wohlergehen seiner Kolleg*innen kümmert. Des Weiteren ist es wichtig, neue Mitglieder bewusst willkommen zu heißen und sie gezielt in das bereits bestehende Team zu integrieren. Außerdem ist es von besonderer Bedeutung, durch kleine Gesten wie ein ausdrückliches Dankeschön oder ein Lob die Wertschätzung gegenüber den Ehrenamtlichen auszudrücken. Auch ein umfänglicher Informationsaustausch und transparente Abläufe tragen dazu bei, die Ehrenamtlichen an den Verein zu binden. Es ist zudem relevant, Werte wie Gemeinschaft, Unterstützung und Respekt aktiv im Verein zu leben, damit Ehrenamtliche eine tiefere Verbundenheit spüren. Ein letzter zentraler Aspekt besteht darin, ein gesellschaftliches Highlight wie einen gemeinsamen Grillabend in Aussicht zu stellen, um die Stimmung zu heben und den Fokus auf das Miteinander zu richten.

Gewinnung neuer Vereinsvorstände

Auch für die Gewinnung neuer Vereinsvorstände gab es während der Veranstaltung hilfreiche Anregungen. Von besonderer Bedeutung ist es, Interesse für die Inhalte des Vereins zu wecken, indem die eigene Motivation geteilt und Erfolgsgeschichten erzählt werden. Zudem ist es wichtig, auch jüngere Menschen oder zurückhaltende Personen (die sich von alleine nicht melden würden) anzusprechen, damit nicht immer die gleichen Personen für die Ämter vorgeschlagen werden. Dabei kann insbesondere eine persönliche Ansprache die Chancen erhöhen, neue Vereinsvorstände zu gewinnen. Eine Findungskommission von zwei bis fünf Personen, die in dieser Zeit von ihren anderen Aufgaben entlastet werden, kann bei der Suche helfen. Wesentliche Aspekte sind ebenso, eine genaue Aufgabenbeschreibung zu erstellen und präzise Zeitangaben zu machen, sowie dem zukünftigen Vorstandsmitglied Gestaltungsspielraum für eigene Ideen zu lassen. Eine letzte Anregung zur Gewinnung neuer Vereinsvorstände besteht darin, einen „Gegenwert“ für die ehrenamtliche Arbeit anzubieten. Dafür stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, wie Fortbildungen, Auslagenerstattung, ein erweitertes Netzwerk durch den Verein und neu erworbene Qualifikationen.

Von- und Miteinander Lernen

Nachdem die Teilnehmer*innen mit theoretischem Wissen rund um die Gewinnung und Bindung von Ehrenamtlichen in NGOs versorgt worden waren, erhielten sie vom Moderator zum Abschluss noch eine Übersicht verschiedener Tools, die sie hier zur Ansicht finden.

In der Dialogreihe NGOplus wird viel Wert auf gegenseitige Unterstützung und das Teilen von Wissen im dritten Sektor gelegt, sodass die Teilnehmer*innen die Chance zur Diskussion und zu einem gemeinsamen Austausch hatten. Wenn Sie konkretes Interesse am Thema haben oder Probleme in der täglichen Arbeit bewältigen wollen, nehmen Sie gerne Kontakt mit unseren ehrenamtlichen Coaches im Projekt „Agathe hilft“ auf.