Was nutzt ein Flugzeug ohne Navigationsinstrumente? Sicher, es fliegt. Aber wie hoch, wie schnell? Und wie lautet seine genaue Position? Ohne Armaturen weiß der Pilot nicht einmal, wie viel Treibstoff sich noch in den Tanks befindet. Bei schlechtem Wetter oder nachts wird der Flug lebensgefährlich. Nicht wesentlich anders geht es uns mit dem Naturverbrauch.
Wie viele Ressourcen kostet ein Frühstück, ein Urlaub, eine neue Wohnung? Wie viel Natur benötigt eine Stadt, ein Kraftwerk, eine Nation oder die Menschheit als Ganzes?
Im Alltag kennen wir den Euro- oder Dollar-Preis der Dinge ziemlich genau. Warum wir das wissen wollen? Ganz einfach: Weil unser Budget beschränkt ist. Wir wollen herausfinden, ob wir uns das leisten können.
Wie unser persönliches Budget ist auch die Natur limitiert.
Auch hier stellt sich die Frage: Können wir uns diesen Naturverbrauch überhaupt leisten? Und warum messen wir ihn dann nicht? Weil wir bisher kein vernünftiges Instrument dafür hatten. Lange Zeit brauchten wir auch keines, da uns die Natur unerschöpflich erschien. Das ist heute anders. Ob beim Klima oder in den Weltmeeren, mittlerweile erleben wir die Grenzen sehr deutlich.
Mittels des Ecological Footprint, auf Deutsch Ökologischer Fußabdruck, können wir unseren Naturverbrauch berechnen. In erster Linie ist er ein Buchhaltungssystem. In der Wirtschaft nutzen wir für diesen Zweck Geld. Der Footprint verfügt dagegen über eine andere „Währung“: die biologisch produktive Erdoberfläche. Eine Ware oder Dienstleistung kostet dann eben eine bestimmte Menge Natur, genauer: Erträge, die ein Wald, ein Acker oder Weideland in einem Jahr abwirft. Soweit die Nachfrageseite.
Wie viel Natur haben wir?
Das Angebot der Natur kennen wir dank modernster Technik ebenfalls. Satelliten liefern uns aktuelle Bilder unseres Planeten. Sie zeigen, wo Wälder, Felder, Städte, Straßen, Wüsten, Seen, Weiden oder Steppen zu finden sind. Für die meisten Flächen gibt es zudem Abschätzungen, wie produktiv sie sind. Die Footprint-Buchhaltung führt beide Seiten, Angebot und Nachfrage, zusammen. Das Resultat ist eine wissenschaftliche Beschreibung: Wie viel Natur haben wir? Wie viel brauchen wir? Und wer nutzt wie viel?
Der Naturverbrauch ist dabei dem Geldverbrauch durchaus ähnlich. Wenn wir uns am Automaten mit Bargeld ausstatten, sieht man den Scheinen nicht an, ob unser Konto schwarze oder rote Zahlen schreibt. Geld ist erstmal Geld. Allerdings, irgendwann spuckt der Geldautomat nichts mehr aus.
Ein Werkzeug für Entscheidungsträger
Das ökologische Kapital unseres Planeten nur aus dem Bauch heraus zu bewirtschaften, macht also keinen Sinn. Ein Vermögensverwalter ohne Buchhaltung ist blind. Niemand brächte sein Geld zu einer Bank, die keine Bücher führt. Ein Kontoauszug gibt uns eine objektive Bestandsaufnahme. Genau das benötigen wir auch für unsere Ressourcensituation. Zu diesem Zweck richtet sich der Footprint an Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, aber ebenso an ein breites Publikum. Beide Akteursgruppen gehören zusammen. Eine wesentliche Stärke des Footprint besteht darin, dass er für jede menschliche Aktivität ausweisen kann, wie viel produktive Fläche dafür benötigt wird. Komplexe Dinge finden ihren Ausdruck somit in einer einzigen Zahl, wie beim Geld. Darüber kann man reden.
Der Footprint als intuitiv verständliches Kommunikationsinstrument eignet sich deshalb sehr wohl für eine breite Öffentlichkeit – die wiederum Einfluss nimmt auf ihre Ver- treter in Parlamenten und Regierungen, und nicht zuletzt auf die Entscheidungsträger in der Wirtschaft. Die Zeit ist reif.
Der Footprint zeigt mit großer Klarheit, dass wir die biologische Grundlage unseres Lebensunterhalts deutlich schneller verbrauchen, als sie erneuert werden kann. Kurz, wir leben über unsere Verhältnisse.
Auszug aus dem Buch:
Der Ecological Footprint: Die Welt neu vermessen
Von Mathis Wackernagel & Bert Beyers, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 2010
244 Seiten broschiert, Zahlreiche Graphiken, € (D) 19,90
ISBN 978-3-931705-32-9
Erhältlich im Buchhandel oder bei AMAZON .
Zu den Autoren:
Mathis Wackernagel, Ph.D., geboren 1962 in Basel, Beiratsmitglied der Deutschen Umweltstiftung, ist Präsident des Global Footprint Network, mit Sitz in Kalifornien, Belgien und der Schweiz. Das Network hat Partner und Projekte auf allen Kontinenten. Mathis Wackernagel ist mit Bill Rees Pionier der Ecological Footprint-Methode. Er ist Ehrendoktor der Universität Bern und hat eine Gastprofessur in Cornell. Auszeichnungen: Herman Daly Award der US Society for Ecological Economics, WWF Award for Conservation Merit, Skoll Award for Social Entrepreneurs.
Bert Beyers, geboren 1956 in Mönchengladbach, ist im Hauptberuf Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. Seit Jahren befasst er sich mit ökologischen und Zukunftsfragen. Zuletzt von ihm erschienen: Welt mit Zukunft – Überleben im 21. Jahrhundert, zusammen mit Franz Josef Radermacher, ebenfalls Beiratsmitglied der Deutschen Umweltstiftung.