Wenn wir mit Nachhaltigkeit als Leitidee Ernst machen wollen, müssen wir uns vor allem auf den Zeithorizont dieser Idee einlassen. Also die Perspektive einer langen Kette von Generationen nach uns einnehmen. Wie kommen wir immer wieder neu zu einer Balance von Selbstsorge, die ja keineswegs zu verachten ist, Fürsorge – als Teilhabe aller – und Vorsorge? Das ist eine enorme Herausforderung. Wir kennen ja die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen gar nicht. Aber was wir tun können und sollten: Die Optionen offen halten, dass auf lange Sicht eine lebenswerte Existenz des Menschen auf dem blauen Planeten möglich sein wird. „Keep the options open!“ So hat das schon die Brundtland Kommission in ihrem Bericht über „sustainable development“ von 1987 formuliert. So wird dieses Konzept zu einem Werkzeug für das, was der US-Zukunftsforscher Otto Scharmer mit dem ziemlich genialen Ausdruck „leading from the emerging future“ bezeichnet: Im Einklang mit den wertvollsten Potentialen der Zukunft, wie sie heute schon hervortreten, handeln und führen. Ich verwende gern die Metapher von der schimmernden Perle, die in der harten und rauen Schale der Muschel heranwächst. Wir wären gut beraten, unsere Aufmerksamkeit auf das Wachstum der Perle und nicht der Muschel zu richten.
Die alten Muster, wie wir zur Zeit noch produzieren und konsumieren, erweisen sich immer deutlicher als zerstörerisch und selbstzerstörerisch. Phänomene wie „peak oil“, das absehbare Versiegen der Ölquellen, und Klimawandel belegen das. Wir haben binnen 200 Jahren einen Großteil der fossilen Bodenschätze des Planeten verbrannt und werden mit den Abgasen unseren Kindern und Enkeln vermutlich ein ziemlich „höllisches“ Klima bereiten. Und noch ein Phänomen: Die immer stärker beschleunigte Jagd nach den knapper werdenden Ressourcen macht uns krank. Siehe die Modekrankheiten Depression und Burn-out. So weiter zu machen, wäre doch Wahnsinn, oder? Mir scheint, wir haben auch einen „peak globalization“ erreicht. Die nächste große Welle könnte die „Localization“ sein – also die Wiederentdeckung der „local people“, der Nahräume, der regionalen und lokalen Kreisläufe, der Mikroökonomie, der Nachbarschaften. Solche kleinteiligen Strukturen könnten sich tatsächlich als „resilient“ erweisen und Sicherheit geben. Ich glaube, ein Umdenken in diese Richtung bahnt sich gerade an.
Wie gewinnt Nachhaltigkeit einen Sitz im Leben? So wichtig es ist, über Begrenzungen und Reduktion zu reden. Noch wichtiger scheint mir, verlockende Bilder des guten Lebens zu entwerfen. Ich meine Bilder, die von der Eleganz des Einfachen handeln, von der Fülle des Lebens, von ökologischer Lebenskunst, von einer Lebensqualität, die für alle zugänglich ist. Ich plädiere für einen sorgfältigen Minimalismus. „Sorgfältig“ bedeutet hier das Wissen darum, dass ein „zu wenig“, also der Absturz in die Schäbigkeit und Verelendung, nicht akzeptabel ist. Doch dann aus einem Minimum an Ressourcen ein Optimum an Lebensqualität zu erzeugen – das erscheint mir als der Kern einer individuellen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsstregie. Weniger ist mehr. Ja, aber was ist daran das „mehr“? Da wird es spannend.
Der Autor Ulrich Grober ist Verfasser des Buches „Die Endeckung der Nachhaltigkeit, Kulturgeschichte eines Begriffes“. Das Buch ist hier erhältlich.