Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben am 19. November 2008 die Richtlinie 2008/99/EG über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt beschlossen (ABl. L 328 vom 6.12.2008, S. 28). Mit dieser Richtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, schwere Verstöße gegen das gemeinschaftliche Umweltschutz- recht unter Strafe zu stellen.
Zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht sind verschiedene Gesetzesänderungen im deutschen Recht erforderlich (Änderungen und Ergänzungen in den §§ 311, 325, 326, 327, 328, 329, 330 und 330d des Strafgesetzbuches [StGB] und von § 71 des Bundesnaturschutzgesetzes [BNatSchG] sowie die Einführung der neuen Vorschrift des § 71a BNatSchG).
Die aktuelle Strafrechtsreform
Aktuell liegt ein Entwurf des Bundesjustizministeriums vor, der zurzeit in Fachkreisen diskutiert wird. Im Wesentlichen entspricht das deutsche Strafrecht zwar bereits im großen Umfang den EU-Vorgaben. Einige Änderungen und Erweiterungen sind dennoch erforderlich und vorgesehen:
- In den Straftatbeständen, die sich auf den Umgang mit radioaktiven Materialien beziehen (§§ 311, 328 StGB), werden die Umweltmedien als geschützte Rechtsgüter explizit aufgenommen.
- Der Tatbestand des § 325 StGB (Luftverunreinigung) wird erweitert, um auch erhebliche Luftverunreinigungen zu erfassen, die nicht von Anlagen ausgehen. Außerdem muss die Privilegierung von Luftverunreinigungen, die von Verkehrsfahrzeugen ausgehen, teilweise aufgehoben werden, soweit es um den Ausstoß von Schadstoffen in bedeutendem Umfang geht. – Der Tatbestand des § 326 StGB (unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen) wird auf die bisher straflose innerstaatliche gefährliche Beförderung erweitert und an den europäischen Abfallbegriff angepasst.
- In § 329 StGB (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete) werden in einem neuen Absatz 4 auch erhebliche Schädigungen von Natura 2000-Gebieten unter Strafe gestellt.
- Neben diesen – und weiteren – Änderungen muss sichergestellt werden, dass die deutschen Straftatbestände auch Taten in anderen Mitgliedstaaten erfassen, soweit deutsches Strafrecht gilt (§§ 3 ff. StGB).
In seinem zugrunde liegenden Beschluss hat das EU-Parlament formuliert: „Die Gemeinschaft ist über die Zunahme von Umweltstraftaten und deren Auswirkungen besorgt, die in steigendem Maße über die Grenzen der Staaten hinausgehen, in denen die Straftaten begangen werden. Solche Straftaten gefährden die Umwelt und erfordern daher eine angemessene Reaktion. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die bestehenden Sanktionsregelungen nicht ausreichen, um die vollständige Einhaltung des Umweltschutzrechts durchzusetzen. Diese Einhaltung kann und sollte durch die Anwendung strafrechtlicher Sanktionen gestärkt werden, in denen eine gesellschaftliche Missbilligung von einer qualitativ anderen Art als in verwaltungsrechtlichen Sanktionen oder zivilrechtlichen Schadenersatzleistungen zum Ausdruck kommt. “
Positive Vorgaben des EU-Parlaments
Dies ist bedingungslos zu begrüssen, allerdings zeigt der Vergleich des aktuellen Entwurfs mit der bisherigen Gesetzgebung und anderen Sanktionen des Strafgesetzbuches, dass eine „gesellschaftliche Missbilligung von einer qualitativ anderen Art“ absolut nicht vorgesehen ist.
Die Bundesregierung plant lediglich unbedingt notwendige Korrekturen. Eine Verschärfung der Strafen oder gar eine grundsätzliche Reform ist nicht erkennbar:
Wirkungslose Strafen
Nach wie vor sind Strafen für gewerbsmäßige Umweltverschmutzung im Vergleich zu anderen Straftatbeständen häufig relativ milde. So ist die illegale Entsorgung von Industrieabfällen in der gleichen Dimension strafbewehrt wie die nächtliche Erlegung einer Wildsau ohne Jagdschein oder die „Verunglimpfung“ des Bundespräsidenten.
Zu kritisieren ist also die vergleichsweise harmlose Strafandrohung in weiten Teilen des Umweltstrafrechts, die in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Umweltschäden auf der einen Seite und den potentiell mit Umweltverschmutzung zu erzielenden ökonomischen Vorteilen auf der anderen Seite steht.
Doch diese Kritik alleine wäre zu kurzsichtig, denn die aktuelle Debatte um die Strafrechtsreform ist zugleich auch Ausdruck eines grundsätzlichen gesellschaftlichen Missverständnisses: der Auffassung, dass der Schutz der Umwelt primär eine strafrechtliche Dimension habe. Das ist eine fatale Fehleinschätzung.
Umweltschutz hat Verfassungsrang
Unsere Verfassung (Art. 20 a GG) definiert das „Umweltschutzprinzip“ als bindende verfassungsrechtliche Zielsetzung. Wie die Legislative diesen Auftrag verwirklicht, bleibt freilich ihrer Gestaltung überlassen. Dabei gewährt Art. 20 a GG dem Gesetzgeber insbesondere deshalb eine große Gestaltungsmacht, weil er auch in Verantwortung für die künftigen Generationen einen Schutzauftrag besitzt und dementsprechend weitreichende und in ihren Folgen nicht genau abschätzbare Entscheidungen treffen kann.
Daraus ergibt sich in der Tat die Verpflichtung zu einem auch strafrechtlichen Schutz der Umwelt – aber eben nicht nur.
Die Deutsche Umweltstiftung hat auf Basis öffentlich zugänglicher Zahlen berechnet, dass deutlich über 99 % der aktuellen Umweltverschmutzung in Deutschland völlig legal und meist auch gesellschaftlich akzeptiert erfolgt. Unsere Umwelt zu schützen und die Natur auch für zukünftige Generationen zu bewahren ist vor allem und in erster Linie eine Frage des Bewusstseins. Bewusstsein kann jedoch nicht mit dem Strafrecht geschaffen werden.
Bewusstseinsbildung ist aufwendig, teuer und erfordert von der Politik Bereitschaft auch zu machtpolitisch unpopulären Entscheidungen. Strafrecht ist da weitaus „billiger“ zu haben.
Strafrecht als Ersatz für Bewusstseinsbildung?
Justiz und Vollzug sind in Deutschland traditionell das Universalheilmittel für gesellschaftliche Versäumnisse – und dies mit seit Jahren weiter steigender Tendenz. Der Ruf nach Staat und Strafe ist populär und unverbindlich. Politisch strittige Fragen werden zunehmend weniger im gesellschaftlichen Dialog oder gar Konsens sondern mit den Mitteln des Strafrechts entschieden.
In Deutschland herrscht – aus gutem historischen Grund – das Prinzip der strikten Gewaltenteilung. Doch Gewaltenteilung wird seitens der Politik zunehmend auch zum Prinzip gesellschaftlicher Nichtverantwortung uminterpretiert.
Das Tempo, in dem neue Gesetze gemacht werden, steigt so sehr, dass sich zwischenzeitlich sogar Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) darüber beklagt. Wie die aktuelle Debatte um die AKW-Laufzeitverlängerung zeigt, werden Gesetze zunehmend gemacht, ohne dass eine gesellschaftliche Debatte oder gar Akzeptanz voranging. Ist das Gesetz einmal beschlossen, bleibt es Sache der Polizei und der Justiz, dessen Durchsetzung zu garantieren – und das mit immer weniger personellen und finanziellen Ressourcen.
Natürlich brauchen wir in Deutschland (und Europa) ein konsequentes Umweltstrafrecht. Umweltverschmutzung, vor allem aus Gründen reiner Gewinnmaximierung ist – und da gibt es einen breiten Konsens in der Gesellschaft – kein Kavaliersdelikt. Dennoch ist der allergrößte Teil der Umweltverschmutzung und des von Menschen verursachten Klimawandels kein Produkt krimineller Taten im Sinne des Strafrechts, sondern zwingendende Folge unserer gesellschaftlichen Entwicklung – und deren nach wie vor akzeptierten gesellschaftlichen Ergebnissen.
Individualverkehr, steigender Energieverbrauch, weiter steigende Pendler-Kilometer, Tourismus und ein Konsumverhalten jenseits aller ökologischen Vernunft richten irreparable Schäden an der Umwelt an, die uns zukünftige Generationen nicht verzeihen werden. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Strafrechtsreform – selbst wenn sie konsequentere Sanktionen beinhalten würde – kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir sollten nicht aus dem Auge verlieren, dass das Umweltstrafrecht, gleich wie umfassend und radikal es ausfallen mag, kein geeignetes Mittel ist, um unsere Umwelt nachhaltig vor den Folgen unserer Zivilisation zu schützen.
Eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft, nicht für die Justiz
Dies geht letztlich nur über eine nachhaltige Veränderung des Umweltbewusstseins. Das aber ist keine Funktion des Strafrechts, sondern eine gesellschaftliche Mammutaufgabe noch nie dagewesener Dimension. Die Justiz kann hier nur einen kleinen Beitrag leisten. Gefordert ist in erster Linie die Politik. Solange diese aber die Förderung alternativer Energien zusammenkürzt, gleichzeitig die weitere Anhäufung nicht entsorgbaren Atommülls verantwortet und auf der anderen Seite die ohnehin viel zu geringen Mittel für Umweltbildung in Schule und Gesellschaft weiter reduziert, bleibt nur festzustellen: Strafrecht und Justiz können die Umwelt nicht stellvertretend für die Gesellschaft schützen. Solange unsere politisch Verantwortlichen diese Aufgabe nicht mit aller Konsequenz angehen, zeigen sie in der Tat „sträfliches Verhalten“.
Der Originalbeitrag erschien in der Ausgabe 2.10 der Zeitschrift verdikt (Mitteilungen der Fachgruppen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di)