Expertensimulation Kritik an neuer Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“

Berlin, 15.02.2011: Mitte Januar hat sie ihre Arbeit aufgenommen: Die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestags soll über die Grenzen des Wachstums und die Perspektiven unserer Marktwirtschaft diskutieren. 17 Mitglieder des Parlaments, streng nach Fraktionsproporz ausgewählt, und 17 Sachverständige, parteinah, treffen sich einmal im Monat und das gleich für Jahre.

Doch für die Deutsche Umweltstiftung liegt bereits in der Zusammensetzung dieser Kommission der Geburtsfehler. Dazu Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung in einem Gastkommentar für das Nachhaltigkeitsmagazin GLOCALIST (www.glocalist.com):

„Wieder einmal wurden die Benennungen nach den alten, undurchschaubaren innerparteilichen Proporzgesichtspunkten vergeben. Dem Außenstehenden erschließen sich diese nicht, und mit fachlicher Qualifikation haben sie nicht viel zu tun.

Da ist zum Beispiel Florian Bernschneider, der für die FDP in der Kommission sitzt. Seine Qualifikation laut Bundestagshandbuch: Er ist ehemaliger Stadtschülerratssprecher in Braunschweig, hat Praktika im Bereich Marketing und Regionalmanagement absolviert und ist seit wenigen Monaten geprüfter Betriebswirt. Berufserfahrung? Fehlanzeige. Veröffentlichungen zum Thema? Fehlanzeige. Gesetzesinitiativen, Reden, Irgendetwas zum Thema? Fehlanzeige.

Kaum anders die Sache bei Steffen Bilger von der CDU, seit drei Jahren Rechtsanwalt und für Energieversorger tätig.

In verquerer Weise konsequent, dass der Vorsitz der Kommission an Daniela Kolbe von der SPD ging, bis zu ihrer Wahl in den Bundestag als pädagogische Mitarbeiterin eines Arbeitsbeschaffungsprojekts in Leipzig beschäftigt.

Für die Fraktionen sind diese Fehlbesetzungen offenbar kein Problem. Wer seit vielen Jahren fraktionsinterne Themenzuweisungen an Nachwuchspolitiker mit dem Eigenetikett Haushalts-, Umwelt- oder Rentenexperte versieht und erlebt, wie dies von den Medien ungefragt wiedergegeben wird, der kennt auch keine Skrupel bei der Besetzung solcher Kommissionen.

Alle diese 17 Parlamentarier sind also ab sofort Wachstums-, Wohlstands- und Lebensqualitäts-Experten. Kein Wunder dann, dass sich diese neuen jungen Experten ungern mit allzu viel Sachverstand auf der Sachverständigenseite konfrontieren lassen wollen. So wird erklärlich, dass sich dort verdächtig viele Ex-Parlamentarier und Ex-Parteifunktionäre tummeln, garniert von Industrie-Lobbyisten und einer Minderheit eher unabhängiger Wissenschaftler. Fragt man da nach fachlicher Kompetenz und internationaler Erfahrung, erlebt man die andere böse Überraschung: Aus der großen Debatte, die nach Erhard Epplers historischer Rede über Lebensqualität 1972 bei uns und anderswo geführt wurde, sind diese Herren völlig unbekannt. Ja, und es sind tatsächlich nur Herren: keine einzige Frau dabei, obwohl doch auch Frauen großen Anteil an dieser Debatte hatten!“

Für Sommer ist klar:

„Von dieser Enquete-Kommission ist nichts zu erwarten, was über die fast 40 Jahre alten Erkenntnisse des Club of Rome hinaus geht. Die Probleme unserer Zeit werden nicht von der Politik gelöst, sondern von Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft. Und allen Menschen, die sich mit der Zukunft ernsthaft auseinandersetzen wollen, sei der Bericht des Club of Rome, insbesondere das so genannte 30-Jahre-Update von 2006 empfohlen. Die Lektüre lohnt sich. Vielleicht auch für die neuen Experten in Berlin …“