Es liegt was in der Luft, ein ganz besonderer Duft…. Es ist der Duft von Unzufriedenheit, der durch das Land zieht, der sich mischt mit Unsicherheit über die Alternativen. Die meisten zufrieden mit dem Lebensstandard, den man nicht gefährden will, und dennoch unzufrieden mit dem Gang der Dinge. Mit zuviel Freiheit, vor allem in der Wirtschaft.Die Ursachen dieser Missstimmung sind einfach: Schon lange schwelt die Enttäuschung über die versagenden Kräfte der Marktwirtschaft, die Versorgung schafft, auch ein bisschen Wohlstand, aber keine Zufriedenheit. Es ist das Gefühl versagender Verantwortung gegenüber einer globalen Balance, ein Versagen vor den Herausforderungen der Nachhaltigkeit und globaler Fairness. Es ist die Unzufriedenheit mit einer Marktwirtschaft, der es nicht gelang, in Ostdeutschland Beschäftigungsstärke zu erzeugen oder in Russland eine extreme Arm-Reichschere zu verhindern oder die Finanzwelt in ihren Exzessen einzugrenzen Es ist diese Unzufriedenheit mit dem ursprünglich als beispielhaft empfundenen Gesellschaftsmodell einer sozialen Marktwirtschaft, die zu viele gesellschaftliche Anforderungen nicht von innen heraus erfüllt begleitet von einer zu oft ebenso enttäuschenden, zu sehr auf den Wettbewerb der Parteien aufbauenden Demokratie.
Die Politik hat die Stimmung nicht mehr im Griff, sie findet keine genügende Antwort auf den Ruf nach „mehr Staat“, nach mehr Ordnung in einer zu „neoliberal“ gewordenen Marktwirtschaft. Sie kann das auch nicht, sie ist national, die meisten der wirklich schwierigen Probleme aber sind global. Der nationaltypische Stolz auf Fortschritt in Technik und Wirtschaft, auf Demokratie und steigenden Wohlstand verschwimmt, mischt sich mit dem zunehmenden Schuldgefühl einer im globalen Verbund versagenden Gesellschaft. Zu gut leben wir von den Hungerlöhnen Asiens und Afrikas. Keine Rede von globaler Fairness und Balance. Rauer Wirtschaftskampf allerorten, ohne soziale Balance. Zudem die das Klima verändernden Atmosphärenbelastungen und Ressourcenverschwendung ohne forcierte technologische Alternative. Nun als enttäuschende Krönung der Kollaps am Kapitalmarkt, der aber, kaum der Katastrophe entronnen, wieder mit Boni und Spekulation weitermacht, gerettet von weiteren Staatsschulden. Und schließlich ein politisches System, das sich demokratisch nennt, aber dennoch dem Bürger verweigert, einzugreifen. Marktwirtschaft und Demokratie haben nach ihrem großen Siegeszug wieder an Ansehen verloren, Skepsis statt Zutrauen dominieren in der allgemeinen Stimmung.
Wer aber wird die starke Kraft der Marktwirtschaft und auch der Demokratie wirklich bestreiten, auch als Zukunftsmodell? In dieser neu vernetzten Welt sind Freiheit und Bewegungsraum, sind Entfaltung und Vielfalt ohne Alternaive. Es geht also nicht um den Ersatz von Marktwirtschaft und Demokratie, es geht um deren Weiterentwicklung, um die Weiterentwicklung des Heute auf ein höheres Plateau gesellschaftlicher Verantwortung, passend für diese neue Zeit. Durch die technologischen Fortschritte und die damit verbundene globale Vernetzung ist die Markwirtschaft zwangsläufig wesentlich komplexer geworden, die Aufgabe einer ordnenden Hand erschwert. Marktwirtschaft ohne ordnende Hand aber ist wie eine Horde wild gewordener Pferde, sie ist Schrecken statt Grazilität und Nutzen. Zügeln kann man sie nicht als Horde. Man muss einzeln beginnen, mit dem Zähmen der Leittiere. Die unzureichende Zähmung wichtiger Branchen und Berufe, behaupte ich, bedarf dabei eines neuen Zusammenspiels von Zivilgesellschaft und Politik, einer neuen Steuerung marktwirtschaftlicher Fehlentwicklungen durch stärker eingeforderte und extern mitbestimmte Selbstkontrolle. Es bedarf des Endes gewohnter, aber nicht notwendiger Freiheiten dieser wilden Horde. Es sind vier Themenkreise, die dazu ineinander greifen müssen
Wo die Freiheit endet
„Freiheit“ der Marktwirtschaft gab es nie. Immer ist sie begleitet von einem staatlichen Ordnungsrahmen. Dennoch höre ich immer wieder von den ehemaligen Kollegen aus der Wirtschaft: „Nur keine neuen Regeln, der Markt wird das regeln.“ Es ist die Angst vor Einschränkungen, Bindungen, Kontrolle, es ist aber auch der Naturinstinkt des überzeugt „Ehrbaren“, der all sein Tun für edel hält. Er kontrolliert sich selbst, nicht immer nur zum Nachteil der Beteiligten. Aber, wer keine Regeln will, wird den Freiraum immer wieder auch zum Nachteil der Gesellschaft nutzen. Der Gutmensch allein wird nie zum Standard. In einer Zeit geschwächter staatlicher Macht ist es Illusion, dennoch nach noch mehr Staat zu rufen. Der verstärkte Ordnungsrahmen muss vielmehr von innen kommen, in einer Kombination von brancheninterner Selbstverpflichtung und Druck der Zivilgesellschaft. Die realitätsfremden Phantasien vom freiwilligem Wohlverhalten müssen ihr Ende finden und einer Kultur themenspezifisch gepflegter Verhaltenskodices Platz machen, verpflichtend und nicht als „freiwilliges“ Feigenblatt. Es ist das Eingrenzen unserer egoistischen Naturinstinkte, angepasst an die verschiedenen Wirtschaftsektoren und durch unternehmensübergreifende Kooperation.
Werteregeln – branchenspezifisch
Die Wirtschaft ist komplex, zugegeben. Aber die übliche Antwort der Wirtschaft auf Komplexität ist einfach, sie gilt auch hier: Aufbrechen in überschaubare Bereiche. Sobald man branchen- oder themenspezifisch in Wirtschaftssektoren oder im Unternehmensverbund denkt, weicht die Komplexität praxisnahen Aussagen. Viel konkreter definieren sich dann Verhaltensregeln für Energieversorger, für die Finanzwelt, für den Automobil- oder den Ernährungssektor. So kommt man vom allübergreifend gut gemeinten Wertekodex in das reale Leben der Wirtschaftsbranchen, in das Zusammenspiel der Konzerne mit dem umgebenden Mittelstand und den selbständigen Berufen, mit Beratern, Vermittlern, Händlern, Anwälten. So aufgebrochen wird es beispielsweise viel klarer, wen die Diskussion über den Finanzbereich betrifft. Es ist das Zusammenspiel der Investmentbanken und Vermögensverwaltungen mit den Anlageberatern, den Rating-Agenturen, den Steuerberatern, den Vertragsanwälten, den Pensionsfonds, den Sachbearbeitern der Lebensversicherungen, den, den, den…Jede dieser spezialisierten Berufe und Funktionen hat ihr Selbstverständnis, hat ihren Interessensverband, ihren Jahreskongress, ihre Zeitschrift und in sich wiederum Interessensgruppen. Berufliche Spezialisierungen haben ihr Innenleben, sind greifbar einschließlich ihrer Pflichten gegenüber der Gesellschaft, der dienenden Funktion mit ihrer Pflicht zur Fairness. Und jede Branche hat Mitglieder, die versuchen, diese Pflichten zu missachten oder sie im harten Umfeld der Konkurrenz schlicht nicht beachten können. Und genau daraus folgt der Vorschlag, jeder Wirtschaftsbranche die Pflicht zum Verhaltenskodex aufzuerlegen, zwar von innen heraus definiert, aber im gesellschaftlichen Dialog hinterfragt und vertieft. Ein verpflichtender Wertekodex muss branchenspezifisch sein, erarbeitet in einem mitbestimmenden Dialog aller Betroffenen. Und wenn die Branche nicht will, gibt es als Vorstufe den Zusammenschluss denkverwandter Unternehmen zu einem starken Verbund, mit Kodex, Logo, nach außen erkennbar klarer Werteorientierung und mitbestimmender Kundennähe.
Mitbestimmung – das bewährte Instrument der Interessensbalance
Mitbestimmender Dialog ist etwas anderes als eine von einem Interessensverband zusammengestellte Gesprächsrunde, die „Bürgernähe“ bringen will. Es ist nicht der oberflächliche „Dialog“, den Wirtschaftler und Politiker oft suchen. Es ist das system-immanente Mitspracherecht, dessen Teilnehmer die Betroffenen selbst bestimmen und das aus deren Blickwinkel Hinweise gibt, Schwächen deutlich macht, ohne deshalb die Entscheidung vorgeben zu dürfen. Das klassische Beispiel system-immanter Mitbestimmung ist der Betriebsrat. Nicht der Unternehmer bestimmt seine Gesprächspartner, sondern die Belegschaft. Nicht er allein macht die Agenda, sondern Gesetz, Tarifverträge, das Organ des Betriebsrats und die dahinter stehende Gewerkschaft bestimmen die Themen. Er wird zu Dialog gezwungen, weiß aber zugleich, dass die Gegenseite durchaus teils die gleichen Ziele hat: Erfolg des Unternehmens, Motivation und Zufriedenheit der Belegschaft. Der Unternehmer will dazu Leistungsbereitschaft zum niedrigst möglichen Lohn und Kapazitätsabbau wegen der Auftragslage mit Kündigungen, aber er kann nicht allein entscheiden, er muss durch diesen Dialog und er weiß: Wenn er nur gegenhält, ohne Zugeständnisse, nicht den Ausgleich sucht, wird ihn sein Gegenüber zum Scheitern bringen. Das ist Mitbestimmung, system-immanent. Es ist das bewährte Rückgrad innerbetrieblichen sozialen Friedens, es ist Teil einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft. Es sichert die soziale Balance innerhalb des Unternehmens. Dieses Modell der Mitbestimmung ist, behaupte ich, übertragbar auf die sozialen Funktionen der Marktwirtschaft insgesamt, kann Antwort sein auf die vielen unzureichend erfüllten gesellschaftlichen Werteforderungen der heutigen Marktwirtschaft. Es kann den staatlichen Regelrahmen ideal ergänzen, kann oft praxisnäher und verantwortungsnah sein, kann den Staat sogar deutlich entlasten. Man muss nur gedanklich die Betriebsräte durch die Vertreter der werteorientierten NGOs als Gesprächspartner ersetzen. Sie und ihre Fachleute sind das ideale Gegengewicht zu Oberflächlichkeit, Ausweichen und Weichheit von Verhaltens-Kodices – und beide Seiten können damit eine neue Form des gesellschaftlichen Dialogs entwickeln, den des Fachgesprächs statt vorwurfsvoller Polemik.
Gesetzesrahmen statt Ordnen im Detail
Von selbst, wie gesagt, gibt man Freiheiten nicht auf. Es bedarf dieses Drucks durch den Gesetzgeber und die Zivilgesellschaft. Es bedarf einer Rahmengesetzgebung, die den Trend der Liberalisierung im Standesrecht umkehrt und die Standespflichten in den Vordergrund schiebt, die Mitbestimmung, Kennzeichnungspflichten und Sanktionsmöglichkeiten regelt und wirksame Selbstkontrolle – branchenspezifisch – erzwingt. Seit nunmehr drei Jahren arbeitet die Bundesregierung an der Umsetzung des G-20- Beschlusses, den Grundgedanken ökosozial verantwortlicher Unternehmensführung – meist Corporate Social Responsibiity oder kurz CSR genannt – umzusetzen. Sie hat dazu ein CSR-Forum ins Leben gerufen, dessen erster Bericht nun vorliegt. Wie nicht anders zu erwarten, bleibt dieser primär von den klassischen wirtschaftlichen Interessengruppen geprägte Entwurf völlig bei der Freiwilligkeit, bei Aufklärung und bei nichtssagenden Allgemeinplätzen hängen. Und all dies gilt zudem nur deutschlandweit. Konsequent wäre, wenn auch die EU-Kommission die G-20-Aufforderung aufgreift, CSR-Leitlinien und branchenspezifische Zusammenarbeit einfordert, – und dabei die beschleunigte Umsetzung der Decarboniseirung unserer Wirtschaft durch branchenintern mitbestimmte Leitlinien in den Mittelpunkt stellt. Europaweit verpflichtend statt nationaler Freiwilligkeit kann umfassend verändernd wirken, ohne die Gefahr der Wettbewerbsverzerrungen und als eine Botschaft Europas für die Welt.
Per Gesetz unterstützt, kann der branchenspezifische und mitbestimmte Wertekodex zu einem starken Instrumentarium der Wertesicherung der Marktwirtschaft werden. Dabei wird jedem klar sein, dass Kodex-Verletzungen auch Pönalen brauchen. Ohne Sanktionen bleiben die Grundsätze nutzlos, genau der Zustand vieler gut gemeinter Beispiele ohne Durchsetzungskraft. Der Gesetzgeber ist dabei gut beraten, nicht nur über Sanktionen für Firmen nachzudenken, sondern insbesondere Sanktionen gegen Personen zu fördern. Das Verbot, weiter leitende Funktionen einzunehmen, ist die logischste Sanktion gegen Kodexverstöße – in Großbritannien als die „Blacklist of unwanted Directors“ bekannt. Jedes Fehlverhalten wird von Personen entschieden. Die Erfahrung zeigt, dass es allzu oft die Gleichen sind, für die „Anstand“ ein Fremdwort zu sein scheint. Sie für Führungspositionen gesperrt, hat sofort dramatischen Effekt. Das kann ergänzt werden durch eine transparent neutrale Ombudsstelle. Der Dreiklang von externer Mitbestimmung, Beschwerdestelle für Jedermann und wachsamem Auge des Gesetzgebers bei der Umsetzung können dem branchenspezifischen Verhaltenskodex den Tiefgang bringen, der ihn zur Kultur werden lässt.
Das Ergebnis: Werteregulierte Marktwirtschaft
Es entsteht damit ein Instrumentarium einer nicht nur durch finanzielle Werte, sondern allgemeiner auch durch gemeinsinnorientierte Werte regulierten Marktwirtschaft. Der Wertekodex führt zu einer tiefer gehenden Definition der Pflichten gegenüber heutigen Gesellschaft. auch gegenüber zukünftigen Generationen und kann weltweit ausgleichende Fairness einfordern. Verpflichtend ist es ein „Instrumentarium einer ökosozialen Marktwirtschaft“, wie es Klaus Wiegand, der Stifter des Forums Verantwortung formulierte.Neu ist dieser Ansatz nicht. Im Gegenteil. Das jahrhundertealte Ordnungsrecht der Zünfte und Stände lebt im heutigen Standesrecht fort in Form der Wirtschaftskammern als Teil unseres Ordnungsrechts . Einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Abgrenzung der Rolle des Gesetzgebers und der Rolle der Berufs- und Wirtschaftskammern wurden dann aber genutzt, um aus diesem Recht die Pflichten weitgehend zu beseitigen. Man konzentrierte sich lieber auf die Diskussion neuer Rechte, wie zum Beispiel das Werberecht für Rechtsanwälte und Ärzte oder die äußerst problematischen Erfolgshonorare von Rechtsanwälten, eine Unsitte, die in USA bereits zu erheblichen Verzerrungen des Rechtsstaats geführt hat. Es entsprach dem neoliberalen Trend, diesen Ordnungsrahmen zu schwächen und neuen Freiheiten Platz zu machen. Die Umkehr dieser Aufweichung des Standesrechts in die Pflicht zur Definition und Überwachung gemeinschaftsorientierte Pflichten kann ein zentrales Element verbesserter Werteorientierung der Wirtschaft sein. Nicht neoliberal, sondern ökosozial muss dabei die Leitlinie sein.
Bürgerbeteiligung – ein universell einsetzbares Korrektiv
Wir haben eine starke Zivilgesellschaft, die es in das politische und wirtschaftliche System mitbestimmend zu integrieren gilt. Angewandt auf Wirtschaftsbranchen, kann sich im beschriebenen system-immanenten Dialog eine verantwortungsvollere, eine konsequenter nachhaltig handelnde Marktwirtschaft ergeben. Die folgenden drei Beispiele greifen unterschiedliche Themenorientierungen heraus, die zeigen, wie ein flächendeckend wirkendes Instrumentarium für Problembereiche der Marktwirtschaft entstehen kann, abhängig von der politischen Bereitschaft und der Fähigkeit der Zivilgesellschaft, sich als informierter Partner einzubringen.
Die Standespflicht des Rechtsanwalts – Basis für Recht und Ordnung
Jeder Ordnungsrahmen setzt einen funktionierenden Rechtsstaat voraus. Die wirtschaftliche Ordnung wird dabei im wesentlichen durch Zivilprozessverfahren gesichert. Leider hat die Wirtschaft es verstanden, diese Ecksäule des Rechtsstaats auszuhöhlen und mit „guten Anwälten“ Zivilprozesse zu pervertierten. Die Gerichte sind überlastet durch endlose Schriftsätze mit falscher Argumentation, hartnäckigen Versuchen der Verfahrensverlängerung, bewusster Tatsachenverdrehung und Verstopfung mit unbegründeten Berufungen.
Verfahrenslängen von zehn Jahren und mehr sind keine Seltenheit. Es ist klar, dass so jeder Ordnungsrahmen ad absurdum geführt wird. Das Zivilrecht aber ist das Ordnungsrecht der Wirtschaft. Ohne dessen Effizienz gibt es keine rechtsstaatlich saubere Wirtschaftsordnung.
Man möchte dies zunächst den Gerichten anlasten. Meine Erfahrung ist anders. Es ist der verschwundene Wertebegriff der Anwaltsbranche, bei der es üblich wurde, dass alles was „Recht“ sein könnte und bezahlt wird, auch versucht wird. Nirgends ist die Wiederbelebung des „Ehrbaren“, des „Das tut man nicht“ nach meiner Beobachtung wichtiger als bei Rechtsanwälten. Zwar haben die Anwälte in den meisten Ländern schon lange einen eigenes Standesrecht – interessant -, allerdings nur selbstverwaltet und ohne externe Mitsprache. Es reflektiert nicht die Forderungen an ein effizientes, zügig arbeitendes Rechtssystem. Wieder geschärft, würde es die beschriebenen Missstände deutlich reduzieren können durch mehr Pflicht zu Ehrlichkeit, Fairness und Zügigkeit der Verfahren. Aber auch hier gilt die alte Regel: „What does not get measured, does not get done“ – Messgrößen sind die Basis jeder Umsetzung – und da könnten Gesetzgeber und Gerichte eine wertvolle Hilfe geben. Denn die Richter beobachten sehr wohl, welcher Anwalt fair anklagt oder verteidigt und wer unverantwortlich trickst. Wenn also jedes Urteil begleitet wird von einer Beurteilung der Fairness der begleitenden Anwälte, dann werden die schwarzen Schafe leichter erkennbar und zu eliminieren, ja man kann sogar auf ein Selbstheilungseffekt hoffen, denn gerade der trickreiche Anwalt ist geschickt genug, seine Reputation durch diese Transparenz nicht zu sehr zu gefährden.Ein ideales Projekt für eine Massenpetition, bei dem sich als allererstes wohl manche Richter beteiligen würden und auch der Teil der Anwaltschaft, dem das verfallene Image ihres Berufsstandes missfällt. Die Anwaltsbeurteilung durch die Gerichte, kombiniert mit einem extern mitbestimmten Kodex des Standesrechts der Rechtsanwälte wäre ein Riesenschritt hin zu einem wieder funktionierenden Rechtsstaat. Es wäre ein berufsspezifischer Wertekodex mit besten Sanktionsvoraussetzungen.
Generationenpflicht Klima
Irgendwann war es dann so weit. Noch vor den ersten kirchlichen Würdenträgern sprachen einige Autoren von der Sünde des Klimawandels. Davor schon hatte die Erklärung von Rio unser Bewusstsein geschärft, dass es globale Verantwortungen gibt und manch eines unserer Fehlverhalten weltweit wirkt. Die Reaktion blieb bis heute beschämend. Hätte es nicht den Zusammenbruch des Ostblocks mit seinen extrem ineffizient Industrien gegeben, die Bilanz bei der Reduzierung der CO-2-Produktion sähe für Europa verheerend aus. Der Grund liegt darin, dass überall in einer komplex vernetzten Wirtschaft Energie eingesetzt wird, die Sparansätze somit verschieden sind und deshalb eine Umstellung branchenspezifisch unterschiedlicher Disziplin bedarf. Der Bundesverband der Deutschen Industrie/BDI – hat in einer interessanten Studie gezeigt, in welchem Bereich der Industrie was zu tun wäre, um den CO-2-Ausstoß zu reduzieren. Allerdings bedarf dies in allen Branchen längerfristig wirksamer Investitionen und Aktionen ohne sofortige Auswirkung auf das Geschäft, kurzfristig eher belastend und nur langfristig wirtschaftlich vernünftig. Es hätte also einigen externen Drucks bedurft, brachenspezifischer Verhaltensleitlinien. Stattdessen zogen es die Wirtschaftsverbände vor, es bei Grafiken und oberflächlichen Appellen zu belassen. Konsequenz: wir stehen zwanzig Jahre nach Rio bei der Schaffung einer CO-2-freien Wirtschaft unverändert nahezu am Anfang.Der branchenspezifische Verhaltenskodex könnte hier branchenspezifisch die aus diesen Studien bekannten Handlungsmaximen formulieren, Messgrößen vorgeben und – gedeckt durch eine Rahmengesetzgebung – einen Umsetzungszeitplan erzwingen als Bedingung für die weitere Berufszulassung. Diese Aufgabe träfe insbesondere die Industrie- und Handelskammern, bei denen alle Unternehmen Pflichtmitglieder sind. Im der Präambel des IHK-Gesetzes schreibt der Gesetzgeber den „ehrbaren Kaufmann“ als Handlungsgrundsatz vor . Einige Industrie- und Handelskammern sind bereits dazu übergegangen, dies mit einer Verpflichtung zur Nachhaltigkeit zu untersetzen und die freiwillige Verpflichtung darauf mit einem Ehrenbrief zu unterstreichen. Eine erzieherische Wirkung hat dies allemal. Nun allerdings geht es darum, dass der Gesetzgeber das seit 1956 als vorläufig bezeichnete IHK-Gesetz novelliert und den Kammern die Erarbeitung branchenspezifischer Leitlinien verpflichtend auferlegt, mitbestimmt durch Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Die Kammern der Wirtschaft, des Handwerks und der freien Berufe wurden Körperschaften des öffentlichen Rechts, damit sie selbstverwaltend eingreifen können, also eigene Anforderungen an die Berufs- und Geschäftstätigkeit erlassen und diese auch selbst wirksam kontrollieren und Verfehlungen sanktionieren können. Es überrascht nicht, dass die Unternehmen und freien Berufe dem kontinuierlich widerstanden haben und leider auch Gehör fanden, dem neoliberalen Trend entsprechend. Zudem blieb dies weitgehend Landes- und nicht Bundesrecht, weshalb es in Deutschland über fünfzig weitgehend unabhängige regionale Industrie- und Handelskammern gibt, eine für Wertekodizes kontraproduktive Vielfalt. Erforderlich ist eine Novellierung dieses Gesetzes so, dass bundesweit einheitliche verpflichtende Berufs- und Standesregeln von den Kammern erlassen werden können, möglichst erarbeitet zusammen mit den Wirtschaftsverbänden und mit Fachkräften der werteorientierten NGOs und Wissenschaft. Das Ergebnis wird für die produzierende Industrie, für die Energieerzeuger und Energieverteiler, für die Bauwirtschaft und die Automobilwirtschaft völlig verschieden aussehen. Das ist eben die Stärke der branchenspezifischen Optimierung. Und sie wird auch für Architekten und Bauingenieure ihre Besonderheiten haben, die ja letztlich mit ihren Planungen die Grundlagen legen zum Energieverbrauch im Hoch- und Tiefbau und für Teile unserer Infrastruktur. Flächendeckend kann so in allen Wirtschaftszweigen und Berufen verbessertes Bewusstsein und ein neuer Druck zum zügigen Handeln entstehen. Und überrascht wird man feststellen, dass wirksame Selbstkontrolle vieles der staatlichen Bürokratie unnötig machen kann, über die man an anderer Stelle gerne klagt. Branchenspezifisch mitbestimmte und verpflichtende Handlungsleitlinien sind also gerade zur beschleunigten Vermeidung atmosphärenbelastender Emissionen ideal. Die amerikanische Energiebehörde EPA hat insgesamt sechs Gase – neben CO-2 insbesondere auch das für die Landwirtschaft und Ernährungsindustrie wichtige Methan – auf ihre Zielliste gesetzt. Auch das unterstreicht die Wichtigkeit eines sektorspezifischen Ansatzes.
Beispiel Investmentbranche – Imagerettung der Banker
Banker, Manager und Politiker wetteifern heute um das unterste Ende der Vertrauensskala. Welch ein Abstieg, vergleicht man mit den stolzen Industriekapitänen, Ministern und Bankiers früherer Jahre. Es ist das neoliberale Opfer, das durch die Aufgabe gepflegten Standesrechts gebracht wurde. Denn nur eine Branche, die sich selbst in Ordnung hält, kann guten Ruf erwarten. Die Korrektur von Fehlleistungen nur durch die Politik ist von vornherein ein dramatischer Imageschaden. Dabei genügt es gerade im Finanzbereich nicht, nur auf verbesserte Bankenaufsicht und neue internationale Regeln zu hoffen. Denn es geht um mehr als nur die „Banken“. Schon im Begriff liegt eine unnötige Verallgemeinerung. Primär geht es den Gesetzgebern um die Kontrolle des Investmentbereichs der Bankbranche. Das trifft naturgemäß zunächst die großen Investmentbanken, die ja primär „toxische“ Papiere angeboten haben. Aber sie fanden reichlich Zuspruch – und auch Ablehnung. Schon der unterschiedliche Umgang der sich beteiligenden Banken ist interessant. So blieben zum Beispiel fast alle Genossenschaftsbanken, allen voran die klassischen Sparkassen, von den Reinfällen durch diese Papiere verschont, einfach weil ihr Wertekodex, ihre Geschäftsdefinition solche undurchsichtigen und risikobehafteten Geldanlagen nicht zuließ. Schon das lehrt viel über die Bedeutung von sektorinternen Verhaltensleitlinien. Aber zu einer Heilung gehört auch das Agieren des Umfelds der freien Berufe und der zahlreichen übrigen mit Geldanlage verbundenen Unternehmen, wie beispielsweise Anlageberatung, Rating, Aktienanalyse und auch Vertrags- und Steuerberatung. Sie alle haben ihr Scherflein dazu beigetragen, dass es so kam wie es kam. Und auch die Sachbearbeiter der großen Geld anlegenden Institutionen, der Pensionsfonds, Versicherungen und natürlich der Hedge-Fonds übertrafen sich im Hunger nach hoch rentierlichen Wertanlagen, vom Bonus zur Kurzsichtigkeit und Risiko getrieben, ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Konsequenzen. Der Kapitalmarkt verrottete zur neokapitalistischen Zockerparkett. Nun steht an, für alle diese Funktionen und Branchen präzis durchdachte Verhaltensregeln zu schaffen, angestoßen durch ein Rahmengesetz, das Pflicht, Mitbestimmung und Sanktion gleichermaßen umfassen muss. Der Lohn wird nicht nur ein Akzeptanzgewinn der Marktwirtschaft sein, sondern auch ein sich wieder bessernder Ruf des „ehrbaren“ Bankers.
Alles in allem führt die Einschränkung der neoliberalen Freizügigkeit der Wirtschaft durch selbst kontrollierendes Standesrecht zu einer Werteregulierung der Marktwirtschaft, bei der alle die, die des berühmten „guten Willens“ sind. gewinnen, während kurzfristig greifende Egoismen zurückgedrängt werden. Die schwierige Trennlinie zwischen gesundem Erwerbsstreben und krankhafter Gier würde neu definiert durch eine stärker gemeinschaftsorientierte Ordnung der Marktwirtschaft. Im Idealfall ergänzt durch eine Demokratie, die bei den großen Themen auch sachbezogene Mitbestimmung des Bürgers erlaubt. Aber das ist das Thema für einen anderen Beitrag.
Autoreninformation: Dr-Ing. Peter H. Grassmann, ist Vorstandsvorsitzender des Oekosozialen Forum e.V. und Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung.
Dieser Beitrag wurde erstmals im Nachhaltigkeits-Magazin GLOCALIST veröffentlicht.